Klima schützen. Demokratie stärken. Jetzt! – Meinungsbeitrag von Lisa Kersch

Weltweit streiken und demonstrieren „junge Leute” freitags für besseren Klimaschutz. Auch in Luxemburg beteiligten sich am 15. März mehrere Tausend Schüler(innen) und Studierende. Für luxemburgische Verhältnisse ist es eher ungewöhnlich, so viele engagierte Menschen auf den Straßen zu sehen. Es läge also nahe, sich zu fragen, ob die Situation nicht wirklich ernst ist, wenn so viele junge Leute zum zivilen Ungehorsam greifen. Iwo! Nicht so in Luxemburg! In den sozialen Medien wurde eine regelrechte Kampagne gegen die Jugendlichen gestartet. Politikern(innen), welche es wagten, die Proteste zu unterstützen, wurde vorgeworfen, sie würden das Anliegen der jungen Leute sowieso nicht ernst nehmen und seien eh nur auf die Rekrutierung neuer Parteimitglieder aus.

Natürlich darf man sich fragen, inwieweit gestandene Politiker(innen) die Anliegen des Protests ernst nehmen und endlich anfangen zu handeln, statt nur zu loben. Andererseits ist es völlig unlogisch, Politiker(innen) zu verteufeln, falls sie junge Leute rekrutieren wollten. Kritisieren müsste man sie eher, wenn sie dies nicht tun würden. In der Tat brauchen sämtliche für die Demokratie so lebenserhaltenden Parteien eine Frischzellenkur in Form neuer, motivierter Leute, die sich trauen, das Heft in die Hand zu nehmen und zu sagen, was Sache ist!

Die von der internationalen Presse angefachte Diskussion über den angeblichen Generationenstreit ist dabei so überflüssig wie irreführend und ein Versuch, die Jugendbewegung in ihrer Kraft zu bändigen. Es ist wirklich sekundär, ob graumelierte Herren im Anzug oder junge Frauen in Jeans notwendige Entscheidungen für die Zukunft treffen. Wichtig ist nur, dass diese Entscheidungen kommen, und zwar schnell und demokratisch legitimiert.

Wahlrecht für EU-Parlament ab 16 Jahren

Den notwendigen Raum dazu wird uns jungen Menschen, wie anderen gesellschaftlichen Kräften, die für wirklichen Wandel eintreten, zur Zeit verweigert. Wir werden ihn uns erkämpfen müssen und wir sind auf gutem Wege, dies zu tun. Zu unerfahren, zu jung, politisch zu ungebildet sind jedenfalls Kategorien, die als Gegenargument nicht mehr greifen, um das politische Überleben des Establishments abzusichern. Im Gegenteil: es werden nur jene politischen Kräfte die Zukunft mitgestalten, welche auch jungen, unerfahrenen und politisch nicht voll ausgebildeten Menschen das Recht auf Mitspracherecht einräumen.

Natürlich hat man mit 16, 19, 24 Jahren nicht die gleiche Lebenserfahrung wie Menschen mit 46, 49, 54 oder mehr Jahren. Wie soll man auch? Aber man kann sehr wohl mit 16, 19 oder 24 Jahren erkennen, dass die aktuelle Politik die Interessen der jungen Generation und übrigens auch der älteren Generationen nicht mehr genügend vertritt. Die komplizierte Funktionsweise der EU, mit drei oft konkurrierenden gesetzgebenden Institutionen ist wahrlich kein Beispiel demokratischer Reinkultur. Und man versteht auch als junger Mensch, dass in immer mehr Mitgliedsländern demokratische Werte längst nicht mehr die Richtschnur aller Politiken darstellen.

Demokratie lebt von ihrer Vielfältigkeit und es gibt keinen erkennbaren Grund, manchen Bevölkerungsgruppen, ob auf Grund ihres Herkommens, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer noch jungen Lebenserfahrung die Beteiligung an der Lösung gesellschaftlicher Probleme zu verweigern. In der parlamentarischen Demokratie drückt sich das Mitspracherecht nicht nur symbolisch über das Wahlrecht aus. Vielmehr ist das Wahlrecht eines, wenn nicht sogar das elementarste Mitspracherecht einer parlamentarischen Demokratie.

Wir werden in den nächsten Wochen wieder schöne Reden über die Erfolgsgeschichte der EU hören. Doch die Zeit der Schönwetterreden muss auch beim Thema Europa vorbei sein: Handeln ist angesagt. Am 26. Mai 2019 sollten deswegen die letzten Europawahlen stattfinden, an denen Menschen zwischen 16 und 18 Jahren das Wahlrecht vorenthalten bleibt! Es ist ein Unding, dass es für manche junge Menschen sogar bis zu ihrem 22. (!) Lebensjahr dauert, bis sie zum ersten Mal wählen dürfen! Deswegen plädiere ich an dieser Stelle für ein freiwilliges (!) Wahlrecht ab 16 Jahren in Europa, das es den jungen Leuten, die sich für Politik interessieren, ermöglichen soll, sich auch einbringen zu können und erste Kontakte mit der Politik zu knüpfen.

Zehn Prozent junge Menschen auf die Wahllisten

Man kann und darf von jungen Menschen erwarten, sich für Politik zu interessieren. Auch in Luxemburg. Man kann und darf aber auch von den Parteien erwarten, dass sie jungen Menschen Gelegenheit zur Mitbestimmung geben. Damit ist nicht die traditionelle Teilnahme etablierter Politiker an den jährlichen Kongressen der politischen Jugendorganisationen gemeint, bei denen dem spärlichen Nachwuchs wohlwollend auf die Schulter geklopft wird, ohne zu vergessen, das Ganze auf einem Foto für Facebook zu verewigen. Im Grunde ist es in der Politik genauso wie im Sport: Wer der Jugend keine Chance gibt, wird sie verlieren. Und wer die Jugend verliert, verliert seine Zukunft! Nur wer das Gefühl hat, gehört zu werden und sich einbringen zu können, etwas beitragen zu können, wird auch am Ball bleiben. Nach über zehn Jahren Schule, also nach Victor Hugo, Schiller, und Gleichungen des dritten Grades und anderem, sollte man Jugendlichen auch zugestehen, sich mit gesellschaftlichen Problemen auseinanderzusetzen! Das tut man aber nicht, indem man sich als Partei eine Jugendorganisation gönnt, welche höflichkeitshalber alle fünf Jahre einige eher harmlose Punkte ins Wahlprogramm einschreiben darf und ansonsten wenig ernst genommen wird. Man tut es aber, indem man den jungen Mitgliedern reale Mitbestimmungsrechte und Verantwortung übergibt, zum Beispiel durch einen Platz auf der Liste!

Ich fordere deshalb Luxemburgs Parteien auf, einem „Gentle(wo)men’s agreement“ zuzustimmen und sich freiwillig zu verpflichten, mindestens zehn Prozent ihrer Listen mit jungen Leuten unter 30 Jahren zu besetzen! Junge Menschen sind vollwertige Mitglieder dieser Gesellschaft, wir verdienen es, in der Politik mitreden und vor allem mitgestalten zu können!

Die wahren Profis sind wir alle

Bezeichnend für veraltete Denkweisen, die der Jugend ihr Recht auf Selbstbestimmung, ja auf selbstständiges, intellektuelles Denken absprechen, war der freudsche Versprecher des deutschen Liberalen und Bettel-Freund Christian Lindner, als er erklärte, die Jungen mögen den Klimaschutz doch bitte den Profis überlassen. Wie gefährlich dieses Narrativ ist, das zudem der Logik einer unverblümten Arroganz entspringt, haben wir alle 2008 in der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise schmerzlich erfahren. Damals wurde die Wirtschaft, besonders aber die Finanzwelt bereits nur noch von sogenannten „Profis“ geführt. Der „normale Bürger“ hatte sich längst aus dieser Welt zurückgezogen, denn er verstand ja nichts davon und hatte somit sein Schicksal in die Hände von Profis gegeben. Blind folgten Politik und Gesellschaft den Aussagen der Profis wie Alan Greenspan, die die Finanzkrise noch verneinten, als andere schon eindringlich davor warnten. Das Resultat kennen wir und ein Blick nach Irland oder Griechenland reicht, um die Langzeitfolgen davon zu sehen. Die Lehre daraus ist einfach: Wer die Politik den Profis überlässt, wird sehen, dass Profis Politik für Profis machen. Die Allgemeinheit wird dabei immer den Kürzeren ziehen.

Denn Demokratie lebt von Vielfalt, nicht von Profis!

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