Schule ohne Navi?

Lued hei den Artikel erof

Von der Astronautin bis zum Fußballspieler: die Berufswünsche unserer Kinder erscheinen oft wie ein Griff nach den Sternen. Doch aus einem Traum kann ein Ziel werden, wenn Talent und Ausdauer erkannt und gefördert, Kinder und Jugendliche begleitet werden, damit sie sich zurechtfinden im Dschungel der schulischen (Un)-Möglichkeiten.

Dies ist seit vielen Jahren schon Aufgabe der „Orientation scolaire“. Doch dass Schüler systematisch und professionell Hilfestellung bekommen, bei sämtlichen individuellen und persönlichen Fragen, ist leider noch immer keine Selbstverständlichkeit.

Das Problem ist bekannt, doch nicht behoben. Beispiel: der Wechsel von der Grundschule in die weiterführenden Schulen. Ob ein Kind handwerklich begabt ist oder sozial intelligent, ob es Naturwissenschaften mag oder außergewöhnlich musikalisch ist – bei der Orientierung ins „Enseignement secondaire classique“ (ESC) oder ins „Enseignement secondaire général“ (ESG) spielt all dies eine sehr untergeordnete Rolle. Die Weichenstellung für die weitere Schullaufbahn beruht nach wie vor größtenteils auf Noten in Deutsch, Französisch und Mathematik. Und die „Orientation par l’échec“ gehört keineswegs der Vergangenheit an.

Völlig inakzeptabel ist allem voran jedoch die Tatsache, dass nicht die Schulleistungen ausschlaggebend für die Orientierung sind, sondern die soziale Herkunft.

Der nationale Bildungsbericht lässt daran keinen Zweifel: 2019/2020 wurden von den Jugendlichen aus sozial begünstigten Familien 72 % in das ESC orientiert, jedoch nur 16 % der Schüler aus sozial benachteiligten Haushalten. Der Unterschied liegt bei 56 Prozentpunkten.

„Berücksichtigte man die unterschiedlichen Schulleistungen, würde der Unterschied jedoch nur bei 15 Prozentpunkten liegen. (…) Es braucht umfassendere Reformen, um den Bildungsungleichheiten stärker zu begegnen“, stellen die Bildungsforscher unmissverständlich fest.

Die Ungerechtigkeit verdeutlicht sich ebenfalls bei den Schülern, die das ESG-Prep besuchen: 15% der sozioökonomisch benachteiligten Jugendlichen werden an diesem Schultypus unterrichtet; bei den Begünstigten sind es nur 3,1%.

Für die LSAP ist es ein Unding, dass die Schule nicht etwa Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten aus der Welt schafft, sondern sie geradezu reproduziert. Kein Kind darf seiner Herkunft wegen abgestempelt werden; schulische Leistungen bleiben bei der Orientierung wichtiges Bewertungskriterium, doch nicht das einzige. Wir wollen eine Orientierung, die Kompetenzen, Persönlichkeit und Berufsvorstellungen in den Vordergrund stellt, und nicht Status, Sprachhintergrund oder Geschlecht. Auch die frühe Einteilung kann man in Frage stellen; andere Länder geben mit späteren Orientierungsprozeduren ein gutes Beispiel.

Das Rad muss nicht neu erfunden werden, Verbesserungsmöglichkeiten gibt es zur Genüge, z.B. Unterstützung durch die „Maison de l’Orientation“, regelmäßige Praktika von allen Schülern der Sekundarstufe, ein niederschwelliges Informationsangebot zu sämtlichen Berufsbildern in Luxemburg und eine stärkere Vernetzung der unterschiedlichen staatlichen Initiativen im Bereich der Studien- und Berufsberatung.

Gibt man einem Traum einen Plan, wird er zum Ziel. Diesen Plan auszuarbeiten, zusammen mit den Jugendlichen und ihren Eltern, ist die Pflicht der öffentlichen Schule. Viele Teenies wissen nicht, was sie wollen – oftmals aber ziemlich genau, was sie können. Hilft man ihnen in die Spur, mit einem Navi anstelle eines veralteten Kompass‘, ist sowohl das individuelle als auch das kollektive Ziel einer gerechten Zukunft greifbar.

Francine Closener
LSAP-Abgeordnete
Bildungspolitische Sprecherin der LSAP

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