“Analyse & Meinung” von Franz Fayot: Digitaler Wandel – Für eine Zukunftskommission in der Chamber.

In der britischen TV-Serie „Black Mirror“ werden manche Entwicklungen, die bereits jetzt im Ansatz in unseren Gesellschaften zu beobachten sind, ans Ende ihrer Logik getrieben und auf dystopische Art dargestellt. Der gemeinsame Nenner sind Internet, Technologie, virtuelle Realität. Das Resultat ist im höchsten Grad beklemmend und beunruhigend.

Die Welt, Europa und Luxemburg sind im digitalen Wandel. Internet, die Plattform-Wirtschaft, soziale Medien, artifizielle Intelligenz, Roboter, dies alles sind Phänomene, die in fast allen Bereichen unserer Gesellschaft Umwälzungen und Disruptionen mit sich bringen, Bestehendes und Altbewährtes auf die Probe stellen, gar ihre Existenz bedrohen.

Es ist diese Technologie, auf welche die Dritte Industrielle Revolution gründet, und aufgrund welcher Luxemburg sich in Richtung einer dem nachhaltigen Wachstum verschriebenen „smart nation“ entwickeln soll.

Ein Aspekt dieses digitalen Wandels ist jedoch bisher bei uns noch weitestgehend unbeachtet und unkommentiert – auch in der Rifkin-Studie, deren Ansatz in der Hauptsache ökonomisch ist – obwohl er international von Forschern, Denkern, Journalisten und Künstlern schon seit längerem thematisiert wird. Es handelt sich um die Effekte des digitalen Wandels auf und die Bedeutung für unsere Gesellschaft, unsere Werte, unser soziales Modell. In Luxemburg wurde in den letzten Monaten die Diskussion um die zentrale Frage der Arbeitszeit angesichts der vorhergesagten Änderungen in der Arbeitswelt unter Einfluss der Robotik und der Plattform-Wirtschaft erst begonnen.

Andere rechtliche, ethische und moralische Fragen werden sich unweigerlich im Bezug auf den digitalen Wandel stellen, und die Politik wird darauf Antworten formulieren müssen.

Beispiele solcher Fragen gibt es jetzt schon genug:

– Plattformen wie Uber und AirBnB stehen stellvertretend für die Bedrohung ganzer Berufsstände durch die Plattform-Wirtschaft: Will die Politik zulassen, das die Taxibranche durch eine App zerstört wird? Stellt AirBnB eine Bedrohung für die Hotelbranche dar? Führt diese App möglicherweise zu einer noch schlimmeren Erhitzung der Immobilienpreise? Will man das, oder eher nicht?

– Sollen selbstfahrende Autos überall fahren, oder bloß auf Autobahnen? In einem „Zeit“-Artikel vom 11. April 2017 („Lassen wir die Finger davon“) vertritt der Robotikethiker Oliver Bendel die Ansicht, dass angesichts unmöglicher Situationen, die sich den Robotern tagtäglich im Stadtverkehr präsentieren werden (überfahre ich ein kleines Kind, eine alte Person oder fahre ich den Wagen in einen Baum?), und auf welche Menschen intuitiv reagieren, es besser wäre, „self-driving“ Autos nur auf Autobahnen zuzulassen.

– In nicht allzu ferner Zukunft („The algorythm will see you now“, The New Yorker, 3. April 2017) werden intelligente und lernfähige Algorithmen in der Medizin bei der Diagnosenerstellung die menschlichen Spezialisten entweder assistieren oder ersetzen können. Dies stellt tiefgreifende rechtliche, ethische und moralische Fragen.

– Wie wollen wir die echte, nicht kommerzielle „sharing economy“ rechtlich begleiten? Diese kann viele Vorzüge mit sich bringen, sei es das Teilen von Autos im urbanen Raum, den Kampf gegen die Vergeudung von Nahrung, das Teilen von Werkzeug und vielem anderen mehr. Eine echte „sharing economy“ kann zudem ein vielversprechender Weg zu einer anderen, auf ein neues Gemeinschaftserlebnis fußende, weniger konsumeristische Gesellschaft sein.

– Es stellt sich außerdem die Frage des Umgangs mit illegalen Inhalten auf Webseiten wie Youtube und Snapchat, die in Luxemburg zugänglich sind, jedoch im Ausland produziert und online gesetzt werden. Immer mehr Menschen, und insbesondere Jugendliche, sehen sich nur noch Videos auf diesen Seiten an, daher die Wichtigkeit, auch über die Überwachung und Regulierung dieser Medien nachzudenken. Hier bieten sich beispielsweise neue Arten der Regulierung an, in denen der Staat den Plattformen die tagtägliche Übersicht überlässt, und diese dann periodisch prüft (sogenannte „Sandkasten“-Regulierung).

Dies sind nur ein paar Beispiele, in welchen der Staat, die Politik, gefordert sind, Antworten auf die rechtlichen (auch menschenrechtlichen), sozialen und ethischen Fragen, die durch die digitale Revolution aufgeworfen werden, zu finden. Diese Fragen dürfen auf keinen Fall Experten und Wirtschaftskreisen überlassen werden, sondern fallen voll und ganz in die Zuständigkeit der Politik.

Und hier ist nicht bloß die europäische Ebene gemeint, obwohl diese von größter Bedeutung ist. Es ist illusorisch zu glauben, das kleine Luxemburg könne alleine Regeln und Markstandards für global wirkende Hi-tech-Firmen und Plattformen festsetzen. Es ist gewusst, dass die Europäische Kommission dabei ist, den numerischen europäischen Markt zu gestalten. Im Rahmen dessen werden manche Fragen im Bereich des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre dazugehören – Luxemburg muss sich hier als Land auf dem Weg zu einer digitalisierten Wirtschaft, ja als ein einzigartiges Laboratorium in Landesgröße, einbringen.

Die Luxemburger Regierung ist der Motor des Rifkin-Prozesses. Dieser Prozess beruht auf der Mitwirkung von Arbeitsgruppen, in welchen Wirtschaftskreise, Berufskammern, Gewerkschaften und Experten vertreten sind. Und auch die Zivilgesellschaft beteiligt sich mittlerweile aktiv an der Diskussion – von Caritas bis zu Mouvement écologique über die Gewerkschaften interessieren sich viele für die zahlreichen Probleme und Fragen, die der digitale Wandel mit sich bringt. Sie organisieren Konferenzen, Rundtischgespräche, veröffentlichen Stellungnahmen. Dies alles ist positiv zu werten, denn es zeigt, dass mit dem Rifkin-Bericht, wie auch immer man dazu steht, eine Zukunftsdebatte losgetreten wurde über die langfristige Ausrichtung des Landes.

Die Chamber, zuständig für das Gemeinwohl, darf gerade diese Zukunftsdebatte nicht verpassen. Denn sie betrifft die Zukunft des Luxemburger Landes in fast allen Bereichen: wie arbeiten wir künftig? welche Effekte hat das auf unsere soziale Absicherung? Wie leben wir zusammen in einer digitalen Gesellschaft? Wie bewegen wir uns fort? Wie gehen wir mit natürlichen Ressourcen um? Teilen wir mehr? In welchen Bereichen?

Sie darf sich nicht damit begnügen, sich alle paar Monate in einer Debatte mit diesem Thema auseinanderzusetzen, und dabei unweigerlich die von der Regierung und möglicherweise der einen oder anderen Partei nahestehenden Organisation ausgearbeiteten Positionen wiederzugeben. Dies interessiert niemanden und trägt leider weiter zum schlechten Ruf mancher Chamber-Debatten als langweilig und ohne großen Mehrwert bei.

Die Volksvertreter müssen sich in diese Zukunftsdiskussion einbringen. Um in dieser komplexen Debatte glaubhaft zu sein, müssen sie sich die nötigen Kompetenzen aneignen – lesen, Konferenzen besuchen, Experten anhören. Sie müssen selber zu Experten werden, müssen Verständnis und Einsicht bekommen in die Zusammenhänge und Effekte des digitalen Wandels auf unsere Gesellschaft.

Ich habe in meiner Rede zur Lage der Nation zwei Vorschläge gemacht, um die Rolle der Chamber diesbezüglich aufzuwerten.

Erstens habe ich die Schaffung eines speziellen Dienstes für technologische Neuerung und digitalen Wandel in der Chamber vorgeschlagen. Dieser Dienst würde für die Abgeordneten Recherchen anstellen, Arbeitspapiere zu Themen, die den digitalen Wandel betreffen, verfassen. Man könnte sich hier an bestehende ähnliche Dienststellen anlehnen, wie es sie beispielsweise im Europaparlament gibt. Die Chamber ist personell dramatisch unterbesetzt und daher in einem ungleichen Verhältnis zu den Ministerien, welche über viel größere materielle und menschliche Ressourcen verfügen – dies ist natürlich nicht nur in diesem Bereich ein Problem.

Zweitens habe ich mir die Schaffung einer speziellen Kommission für den digitalen Wandel gewünscht. Eine „Zukunftskommission“ also, die mit interessierten Abgeordneten aus verschiedenen Fachgebieten zusammengesetzt und sich transversal mit dem Thema beschäftigen könnte, anstatt dass digitale Themen einzeln und sektoriell behandelt würden. Der digitale Wandel ist ein komplexes und vielschichtiges Thema, das auch holistisch diskutiert gilt. Die Zukunftskommission würde mit der Verfassung eines Berichtes zum digitalen Wandel beauftragt und könnte der Chamber eigene Empfehlungen und Vorschläge formulieren.

Diese Zukunftskommission wäre in meinen Augen eine Aufwertung der repräsentativen Demokratie, die bei uns durch die Chamber verkörpert wird, und eine Besinnung der Abgeordneten auf ihre Kernaufgabe, nämlich die parlamentarische Arbeit. Dies in Zeiten, wo sehr viel Energie und Zeit auf direkte demokratische Partizipation ver(sch)wendet wird, und sich der Parlamentarismus abzuschaffen droht. Facebook und Twitter lassen grüßen.

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