Alex Bodry zur Verfassungsreform: „Es besteht das Risiko, dass die Arbeit von fast 15 Jahren einfach zerstört wird“.

Ende November hat die zuständige Parlamentskommission die letzten Abänderungsanträge zum Text der Verfassungsreform dem Staatsrat zur Begutachtung vorgelegt. Eine Woche später wurde eine von der Universität Luxemburg im Auftrag der „Chamber“ zum Ablauf der erstmals eingesetzten „Bürgerpanels“ vorgelegt. Eine diesbezügliche Pressekonferenz fand am 13. Februar 2017 statt. Wie es jetzt mit den Arbeiten zur neuen Verfassung weitergeht und wie das prozedurale Timing aussieht bzw. aussehen könnte, darüber gibt Kommissionspräsident Alex Bodry im Interview Aufschluss.

  • Wie ist in Sachen Verfassungsreform der Stand der Dinge?

Alex Bodry: „Mittlerweile befinden wir uns in der dritten Legislaturperiode, in der wir eine Verfassungsreform diskutieren. Mit dem Ergebnis, dass wir uns, aufgrund der unzähligen Neuerungen, eine integral neue Verfassung geben anstatt nur Änderungen an der bestehenden vorzunehmen.

Im Frühjahr 2015 haben wir eine ganze Reihe von Änderungsanträgen, 70 an der Zahl, an den Staatsrat weitergereicht. Wir haben dabei immer erklärt unsere Arbeiten, zu Beginn wie auch jetzt, nicht entsprechend der Regierungskoalition, sondern mit dem Ziel der größtmöglichen Zustimmung über die Grenzen der Regierungskoalition hinweg, auszurichten. Schließlich befinden wir uns hier in dem spezifischen Fall, dass eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament erreicht werden muss. Zugleich ist es gut, institutionelle Sachverhalte nicht in einer Konfrontationslogik anzugehen, sondern vielmehr zu probieren, Gemeinsamkeiten herauszuschälen.

Parallel zum Verfassungsreferendum vom 7. Juni 2015 wurden auch die Bürgerinnen und Bürger aufgerufen, sich in die Prozedur zur Ausarbeitung eines neuen Verfassungstextes einzubringen. Mehr als einhundert Personen haben sich an dieser Initiative beteiligt, zahlreiche Vorschläge wurden unterbreitet. Die Verfassungskommission hat diese in rund einem Dutzend Sitzungen analysiert, den verschiedenen Bürgern anschließend schriftlich ihre erste Einschätzung zu den Vorschlägen dargelegt um dann am 8. Juli 2016 eine Art Zwischenbilanz im Rahmen eines öffentlichen Hearings mit den Textautoren zu ziehen.

Ab September hat die Kommission weiter an den Schlussfolgerungen bezüglich der Vorschläge aus der Zivilgesellschaft gearbeitet. Das Ergebnis war eine zweite Serie an Abänderungen, wobei neun hiervon eine direkte Reaktion auf die aus den Reihen der Zivilgesellschaft eingegangenen Vorschläge und Kritiken sind. Diese betreffen hauptsächlich den Bereich der Grundrechte und der öffentlichen Freiheiten, wo wir eine Reihe weiterer Rechte in der Verfassung verankern bzw. Rechte ausbauen im Vergleich zu dem was ursprünglich von der Kommission vorgesehen war.“

  • Können Sie vielleicht einige Beispiele nennen?

Alex Bodry: „Die in den Text eingeflossenen Vorschläge betreffen die Kinderrechte, den Denkmalschutz, die Kultur. Oder aber noch den Tierschutz. In der neuen Verfassung wird das Tier als fühlendes Wesen definiert und festgehalten, dass der Staat für das Wohlergehen der Tiere sorgen muss. Weiter kriegt der „Médiateur“, der zukünftig nur noch Ombudsmann heißen soll, durch die Verankerung in der Verfassung permanenten Charakter.

Auch haben wir eine Verankerung des sogenannten Luxemburger Modells festgehalten, indem wir den Sozialdialog als Staatsziel auf allen Ebenen, sprich auf nationaler, institutioneller und betrieblicher Ebene, festschreiben.

Anderen Vorschlägen hingegen konnten wir nicht Rechnung tragen. Zum Beispiel jenen, die im Zusammenhang mit dem Verhältnis von Kirchen und Staat stehen, weil dies eigentlich Fragen waren, die auf Kommissionsebene ausdiskutiert waren. Hier sahen wir uns mit Forderungen und Kritiken konfrontiert, die komplett entgegengesetzt waren. Da wir nach schwierigen Diskussionen in diesen Punkten aber bereits politisch einen kleinstmöglichen gemeinsamen Nenner gefunden hatten, waren wir uns einig, diesen Punkt nicht erneut aufzurollen. Ansonsten wäre eine Reform insgesamt wohl nicht mehr möglich gewesen. Ähnlich verhielt es sich bei anderen Vorschlägen, wie z.B. jene nach der Einführung einer Republik. Alle nicht zurückbehaltenen Anträge hatten gemein, dass sich für diese innerhalb der Kommission keine Mehrheit, also kein breitestmöglicher Konsens fand.“

Alex Bodry

  • Wie geht es nun weiter?

Alex Bodry: „Der Staatsrat arbeitet derzeit an seinem zweiten zusätzlichen Gutachten, wo er unter Umständen die erwähnten Abänderungsanträge noch berücksichtigen kann. Wenn dieses Gutachten vorliegt, haben wir eine weitere Etappe geschafft. Die Kommission ihrerseits arbeitet derweil weiter und probiert in diesem Zusammenhang, indem sie regelmäßig über den Stand ihrer Arbeiten informiert, auch die öffentliche Diskussion weiter zu beleben. Zudem werden wir die Studie der Uni Luxemburg bezüglich der sogenannten Bürgerpanels genauestens analysieren. Aufgabe dieser Studie war es diese Maßnahme kritisch zu hinterfragen und, hinsichtlich einer Verbesserung der Debatte und der Kommunikation, die Meinungen und die Aussagen der involvierten Bürger zu diversen Punkten auszuwerten. Die Studie soll in einer gewissen Weise ein Arbeitsinstrument für die Kommission sein, um den Prozess der kommenden Monate öffentlich besser weiterführen zu können.

Interessant in dem Bericht ist, dass keine der Hauptdispositionen – zumindest in den Panels –unmittelbar die Zustimmung einer Mehrheit fand. Die Diskussionen haben allerdings bewirkt, dass die Zahl der Unentschlossenen deutlich abnahm und mit dem Fortlauf der Beratungen die Zustimmung zu den Kommissionsvorschlägen wuchs. Wobei allerdings kontroverse Fragen z.T. immer noch kontrovers bis zum Schluss geblieben sind.“

  • Wie sieht es mit der zeitlichen Planung aus?

Alex Bodry: „Als Kommission arbeiten wir in unserem normalen Rhythmus weiter, also praktisch im Rhythmus einer wöchentlichen Sitzung, in der wir uns hauptsächlich auf Verfassungsfragen konzentrieren. Dies mit dem Ziel im Laufe von 2017 eine Einigung bezügliches eines Textes zu erreichen.

Zu diesem Zeitpunkt dann stellt sich die Frage, was mit dem Text passiert. Inwieweit und in welcher Form soll dieser noch in der Öffentlichkeit diskutiert werden? Inwiefern wird allenfalls über den Text abgestimmt? Inwiefern ein Referendum durchgeführt? Diese Fragen werden sich 2017 stellen aber auch hinsichtlich der Prozedur gilt, dass wir eine parteiübergreifende Einigung erzielen müssen. Die einzelnen Parteien müssen sich also auch hier aufeinander zu bewegen. Mein persönlich größtes Anliegen ist, dass wir uns einen erzielten Kompromiss nicht durch die Perspektive von Wahlen bzw. durch das Ergebnis von Wahlen, wo eventuell die Karten von Opposition und Mehrheit neu gemischt werden, kaputt machen lassen. Das Wahlergebnis bzw. die Neuausrichtung der politischen Landschaft hat möglicherweise einen Einfluss auf die Haltung, die einzelne Parteien zu einem solchen Text einnehmen. Hier besteht das Risiko, dass die Arbeit von fast 15 Jahren einfach zerstört wird. Meine Hauptsorge gilt demnach dem Auffinden einer breit getragenen Prozedur zur Absicherung der erreichten politischen Einigung und zur Sicherstellung, dass die begonnene Arbeit in einem vernünftigen Zeitrahmen zum Abschluss gebracht werden wird.“

  • Die CSV hat sich ja bereits eindeutig gegen das Abhalten eines Referendums in dieser Legislaturperiode ausgesprochen!?

Alex Bodry: „Die CSV weiß sehr wohl – zumindest glaube ich das – dass wenn sie wieder in die Regierungsverantwortung kommt (was zumindest in ihren Augen die wahrscheinlichste Hypothese ist), und sie jetzt weiter eine nicht gerade unterstützende Haltung einnimmt, sie sich in der kommenden Legislaturperiode wohl einer ähnlichen Haltung der Opposition gegenübersieht. Überwasser kriegen in den Parteien dann wohl jene, die eine kritischere Meinung vertreten. Ich weiß aus Erfahrung, dass ein solches Szenario sehr schnell eintreten kann und dann platzt die gesamte Einigung. Eine Verfassungsreform wird es dann auf unabsehbare Zeit nicht geben.“

  • Wie wollen Sie eine solche Entwicklung verhindern?

Alex Bodry: „Ich habe meinen diesbezüglichen Plan B schon in der Kommission dargelegt. Dieser sieht vor in dieser Legislaturperiode das erste verfassungsrechtliche Votum durchzuführen und das Referendum dann in der kommenden Legislatur auszurichten. Hier besteht aber das Problem, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Fristen zu eng sind. Derzeit muss das zweite Votum (das in diesem Fall durch das Referendum ersetzt würde) innerhalb von sechs Monaten nach der ersten Abstimmung erfolgen. Dies wäre aber nicht machbar, da man in diesem Fall das Referendum genau in die Wahlkampfperiode zu den Europawahlen fallen würde. Dieser Lösungsansatz gestaltet sich also schwierig, ist aber nicht unmöglich. Nur müssten wir das Referendumsgesetz bezüglich der Fristen abändern – anstatt von sechs Monaten könnte man zum Beispiel zwei Jahre festhalten. In diesem Fall hätte man zumindest einen Zeitrahmen festgesetzt.

Eine weitere Möglichkeit wäre, durch ein formales Votum, einer Resolution zum Beispiel, die politische Einigung die zumindest zum jetzigen Zeitpunkt besteht, formal vom Parlament feststellen zu lassen. In diesem Zusammenhang kann man dann auch die weitere Prozedur festhalten. Auf diese Weise wäre die Einigung etwas „fester“, als wenn man das Ganze einfach auslaufen lässt, verbunden mit dem Risiko, dass zwar ein fertiger Text vorliegt, dieser allerdings dann für ein Jahr oder länger in einer Schublade verschwindet. Auch gegenüber der Bevölkerung muss meiner Meinung nach klargestellt, was wann zu was führt und dementsprechend ein solch formaler Akt vollzogen werden. Wenn die Zielsetzung der öffentlichen Debatten nicht klar ist, ist es auch sehr schwer Bürger zahlreich dazu zu bewegen sich persönlich einzubringen. Ich glaube, dass dieser letzte Vorschlag eine Lösung darstellt, die in der jetzigen Situation allen Parteien zusagen könnte. Zumal, um auf die Bürgerbeteiligung zurückzukommen, es das erste Mal überhaupt ist, dass wir in der Ausarbeitung eines Gesetzes einen partizipativen Weg einschlagen. Und dann auch noch nicht bei irgendeinem Gesetz, sondern gleich bei dem eigentlich höchsten Gesetz des Landes. Das ist schon besonders.“

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