“Entgleisungen vermeiden” – ein Meinungsbeitrag von Yves Cruchten

Auch wenn die Mobilitätsfrage aktuell durch die Pandemie etwas in den Hintergrund geraten ist, stellt sie eine der großen Herausforderungen für die Zukunft unseres Landes dar. Deshalb ist es umso wichtiger, eine Debatte, ohne Vorbehalte, über die Mobilität von morgen anzuregen. Eine entscheidende Rolle spielen hier, im Land des Charly und des Jangeli, zweifelsohne weiterhin die Schiene und der Zugpassagiertransport. Dafür gilt es in diesem Bereich keine voreiligen Entscheidungen zu treffen, die später bereut werden könnten. Es sei daran erinnert, dass wir in der Vergangenheit stets jeden einzelnen abgebauten Meter Schiene später bereut haben.

Dementsprechend positiv sind die Pläne der Regierung zu werten, die im Herbst vorgestellt wurden und einen Mobilitätskorridor entlang der Autobahn A4 vorsehen. Dieser Korridor wird unter anderem Platz für eine Schnelltram vorsehen, die die Cloche d’Or mit der Stadt Esch/Alzette verbinden wird. Langfristig soll die Schnelltram sogar via Esch/Schifflingen und Belval bis zum Beleser Rathaus reichen.

Am Ende einer seiner öffentlichen Onlinevorstellungen zu diesem Thema hatte Mobilitätsminister François Bausch allerdings „noch einige Überraschungen parat“. So umschrieb es zumindest das „Luxemburger Wort“ später in seinem Bericht dazu. Von diesen „Überraschungen“ überrumpelt wurden auch die Gewerkschaften, die im Transportwesen tätig sind. Denn angekündigt wurde damals, dass die Gleisstrecke zwischen Esch/Alzette und Audun-le-Tiche zurückgebaut werden soll. Der Zug soll dort durch einen „Bus à haut niveau de service“ (BHNS) ersetzt werden.

Sicherlich würden sich dadurch einige Vorteile ergeben, die auch aufgezählt wurden. So zum Beispiel, dass das Escher Viertel Grenz/Hiel in Zukunft nicht mehr von der Lentille Terres Rouges, wo ein neues Viertel für 3.000 Einwohner entstehen wird, durch die bestehenden Gleise abgetrennt wird. Als Vorteil wird weiter genannt, dass dieses zukünftige Viertel mit besagtem BHNS besser angebunden werden kann (wobei sich die Frage aufdrängt, warum dies mit der bestehenden Bahnstrecke nicht möglich wäre). Und schließlich, dass der Bus einerseits bis nach Esch/Schifflingen fahren kann und andererseits auch in Frankreich weiter als nach Audun-le-Tiche verkehren kann, wo die Gleisstrecke bekanntlich endet. Dieser Bus soll zudem teilweise über eine eigene Fahrbahn verfügen.

Die Bahn ist Teil der Lösung

Das klingt beim ersten Hören nicht schlecht, doch sollte man sich nichts vormachen. Dort, wo Gleise entfernt werden, werden später keine neuen gelegt. Das dürfte auch für die Strecke Audun-le-Tiche – Esch/Alzette gelten. In Zeiten, in denen eine Tram in der Hauptstadt wiedereingeführt wird, Pläne für eine Schnelltram geschmiedet werden und die Regierung Rekordsummen ins Schienennetz investiert, mutete dies erst einmal doch etwas kontradiktorisch an.

Deshalb sollte eine solche Entscheidung, Schienen abzubauen, die auch immer einen gewissen Symbolcharakter hat, nicht im Hauruck-Verfahren getätigt werden und noch weniger als „Fait accompli“ dargestellt werden. In diesem spezifischen Fall wurde weder mit den Gewerkschaften noch mit den französischen Nachbargemeinde darüber gesprochen, wie aus verschiedenen Presseartikeln zu lesen war. Dabei braucht es, um an ein solches Thema heranzugehen, Dialog und vor allem Studien und Analysen, die belegen, welche Lösung die Beste ist. Denn im Nachhinein, wenn die Schienen bis entfernt sind, ist es bekanntlich zu spät.

Dabei soll das oberste Ziel nicht aus den Augen verloren werden, den Bahnkunden beziehungsweise Nutzern des öffentlichen Transportes das Bestmögliche Angebot zu liefern. Deshalb sollte diese Frage um das Gleisstück nach Audun-le-Tiche nicht dogmatisch, sondern pragmatisch geführt werden und von vorneherein nichts ausgeschlossen werden. Doch um dies zu ermöglichen, braucht es wie gesagt Daten und Studien, die belegen können, welche denn nun die beste Lösung ist. Das muss vorliegen, bevor eine Entscheidung getroffen wird, die später nicht mehr rückgängig zu machen ist.

Hohe Investitionen

Apropos bestmögliches Angebot. Die Regierung tut derzeit viel, um das Schienennetz zu verbessern. Dadurch, dass nun der Hauptbahnhof in Luxemburg-Stadt nicht mehr zwangsläufig als Endhaltestelle genutzt werden muss, ergeben sich neue Möglichkeiten. Wie zum Beispiel für Zugnutzer, die aus dem Süden kommen und an der Haltestelle im Pfaffenthal auf die Stand-Seilbahn umsteigen können, um den Kirchberg zu erreichen. So brauchen sie nicht erst die ganze Stadt mit Bus oder neuerdings Tram, abzufahren. Welch ein Zeitgewinn für die Nutzer!

Doch das ist erst der Anfang. Der Ausbau des Hauptbahnhofes mit zwei neuen Bahnsteigen und neuen Gleisen werden die Möglichkeiten noch steigern. Dann können Quais als Durchfahrtskorridore genutzt werden und es kann verhindert werden, dass die Verspätung eines Zuges sich auf andere Linien schneeballartig auswirkt.

Ebenfalls von großer Bedeutung ist der Bau der neuen Zugstrecke zwischen der Hauptstadt und Bettemburg. Auch wenn der Minister für Mobilität kürzlich in der Antwort auf eine parlamentarische Frage angeben musste, dass sie nicht wie geplant für 2024 in Betrieb genommen werden kann, wird sie, vor allem für den Zugverkehr aus dem Süden und aus dem französischen Grenzgebiet kommend, einen Quantensprung darstellen.

Dies sind alles Beispiele, die zeigen, dass die Schiene eine Zukunft hat und haben muss.

Die „kleinen“ Strecken nicht vergessen

Die hier genannten Großprojekte sind am Laufen und das ist erfreulich. Es gilt aber auch nach vorne zu schauen, weshalb der neue Mobilitätsplan, der noch in dieser Mandatsperiode abgeschlossen und veröffentlicht werden soll, von großer Bedeutung sein wird. Er wird wortwörtlich die Weichen für die kommenden Jahrzehnte setzen. Einige Projekte davon, wie zum Beispiel die bereits erwähnte Schnelltram zwischen Esch/Alzette und Luxemburg-Stadt, sind bereits angekündigt. Ein Projekt, das durchaus Unterstützung verdient. Die Schnelltram wird es erlauben, die beiden Ballungszentren, die Hauptstadt und die Region um Esch, effizient miteinander zu verbinden.

Daneben wird es aber auch von Bedeutung sein, für vermeintlich kleinere, lokale Projekte, Mittel bereitzustellen. Diese kleineren Strecken gilt es neben den großen Projekten nicht zu vergessen. So zum Beispiel die Strecke von Rümelingen nach Noertzingen, die heute mit knapp vier Verbindungen morgens und vier abends ein stiefmütterliches Dasein fristet und so kaum Nutzer für sich gewinnen kann, obwohl parallel dazu in den Stoßzeiten auf den Autobahnen nach Luxemburg oft Stau herrscht.  Zudem besteht heute schon eine Anbindung aus dem Kayltal Richtung Schifflingen und Esch/Alzette. Warum keinen Gebrauch davon machen?

Aber auch im Norden braucht es Perspektiven. Dies gilt für die Nordstadt, wo die Gleise zwischen Ettelbrück und Diekirch auf keinen Fall kurzfristig abgebaut werden sollten. Im Gegenteil: Durch die Neugestaltung des Bahnhofes von Ettelbrück zeigt sich, dass auch ein solches, eher kurzes Schienenstück an Attraktivität gewinnen und Teil der Lösung sein kann.

Warum in diesem Zusammenhang nicht auch die Überlegung führen, ob die Werksbahnstrecke ab Bissen nicht auch für Passagiere als Zubringer für die Nordstrecke fungieren könnte? Wieder einmal gilt, dass die Diskussion sachlich, auf Faktenbasis, geführt werden soll und nicht von vorneherein abgelehnt werden soll. Denn es gilt das Streckennetz auszubauen und Beispiele wie sie leider in Steinfort erfolgt sind, wo die Idee der Wiederbelebung der Kurzstrecke nach Kleinbettingen nun definitiv begraben scheint, in Zukunft zu verhindern.

Ebenfalls gilt es endlich die Zweigleisigkeit der Nordstrecke, dort, wo es möglich ist, voranzutreiben. Das Einrichten von Radwegen längs von Gleisen, wie rezent zwischen Clerf und Ulflingen angekündigt, ist sicherlich lobenswert. Gleichzeitig muss aber dabei darauf geachtet werden, einer späteren Verdopplung der Gleise nicht im Wege zu stehen.

Alle diese Elemente werden demnächst, im Rahmen des neuen Mobilitätsplans, der immerhin bis 2035 reichen soll, durchdiskutiert. Auch hier wird es Studien und Analysen brauchen. Damit besonnen und sachlich über das Thema gesprochen werden kann. Und keine vorschnellen Entscheidungen getroffen werden, die einem in ein paar Jahren wieder leid tun. Stichwort: „noch einige Überraschungen parat“.

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