Alex Bodry: “Für einen vernünftigen Umgang mit Umfrageergebnissen”.

Für einen vernünftigen Umgang mit Umfrageergebnissen

product developmentUmfragen, die sich auf Wahlresultate beziehen, sind mit Vorsicht zu beurteilen.

Sie sind knapp zwei Jahre vor dem eigentlichen Wahltermin sicherlich nicht als Prognose für den Wahlausgang zu verstehen: einen Blick in die Kristallkugel für Oktober 2018 erlauben sie demnach nicht.

Dennoch vermitteln Umfrageergebnisse, wie jene des Politbarometers von Luxemburger Wort und RTL (TNS-ILRES) einen Überblick über die augenblickliche politische Stimmung bei den Wahlberechtigten. Bei gleicher Methodik sind im Vergleich zu früheren Umfrageergebnissen außerdem Entwicklungen und Trends auszumachen.

Die gesetzlichen Vorgaben respektieren

 

In Luxemburg sind politische Umfragen durch ein Gesetz vom 14. Dezember 2015 geregelt.

Das Gesetz fußt auf einem parlamentarischen Gesetzesvorschlag, den ich am 6. März 2012 in der Abgeordnetenkammer eingebracht hatte.

Das Gesetz erlaubt die Veröffentlichung und Kommentierung von politischen Umfragen bis fünf Tage vor dem Wahltermin.

Vor allem müssen bei Veröffentlichung von bestimmten Umfragen, verschiedene umfragespezifische Informationen mitpubliziert werden.

Außerdem müssen bei einer unabhängigen Kontrollinstanz, der „Autorité luxembourgeoise indépendante de l’audiovisuel“ (ALIA), zusätzliche technische Informationen hinterlegt werden, die wiederum auf der Internetseite dieser Instanz veröffentlicht werden.

Gegen Gesetzesverstöße kann Klage bei der ALIA eingereicht werden.

Bei der Veröffentlichung von Umfragen ist die Zahl der Befragten, der Zeitpunkt der Befragung, der Auftraggeber sowie die Fragestellung mitzuteilen. Außerdem schreibt der Gesetzgeber vor, die Namen der Auftraggeber und des Meinungsforschungsinstituts anzugeben. Schließlich ist anzugeben, ob und nach welchen Kriterien die Bruttoergebnisse korrigiert wurden.

Bei der ALIA sind zusätzliche Angaben zur angewandten Methodik und zur statistischen Zuverlässigkeit der Daten zu hinterlegen.

All diese Grundinformationen – die übrigens dem internationalen Kodex für die Praxis der Markt- und Sozialforschung entsprechen – sind notwendig, um die Aussagefähigkeit und Tragweite der Ergebnisse von Umfragen beurteilen zu können.

Es wäre angebracht, zu überprüfen, ob die vom Gesetz vorgeschriebenen Grundinformationen auch tatsächlich in vollem Umfang hinterlegt und veröffentlicht wurden.

Dies gilt insbesondere für die angewandten Kriterien zur Korrektur der Bruttoergebnisse der Umfrage.

Wie errechnet man aufgrund der Frage, welcher Partei der Wähler die meisten Stimmen gibt, das Umfrageresultat der Parteien aufgrund des Listen- und Panachierphänomens?

Gerade in dem Punkt liegt ja die Besonderheit unseres Wahlsystems, aber auch der hohe Komplexitätsgrad für Wahlumfragen in Luxemburg.

Nicht ganz zufriedenstellend sind meiner Ansicht nach ebenfalls die gelieferten Angaben zur statistischen Fehlertoleranz der Umfrageergebnisse.

Tendenziöse Interpretationen vermeiden

 

Tendenziöse und überzogene Auslegungen und Kommentare zu Umfrageergebnissen führen zu Verzerrungen und emotionalisieren unnötig die Debatte.

Im Endeffekt führen sie zu einer allgemeinen Infragestellung des Instruments der Umfrage, als Teil der politischen Debatte und Meinungsbildung. Kürzlich ist eine solche kritische Diskussion ja auch im Ausland geführt worden.

Als erstes sollten sich der oder die Auftraggeber der Umfrage sowohl bei der Auswahl der Fragen wie auch bei der Fragestellung um ein hohes Maß an Objektivität bemühen.

Dies gilt natürlich auch in der 2. Phase bei der Präsentation und dem Kommentar zu den Umfrageergebnissen.

Das läuft zur Zeit nicht optimal.

Das letzte Politbarometer LW/RTL vom Januar 2017 wirft in dieser Hinsicht etliche Fragen auf:

  1. Weshalb wurde bei den für die Regierungskoalition zugegebenermaßen schlechten Umfragewerte absichtlich anfangs darauf verzichtet, eine Referenz auf frühere Umfrageergebnisse zu machen? Ein solcher, durchaus zulässiger Hinweis auf frühere veröffentlichte Wahlumfragen hätte das Gesamtbild vervollständigt, Tendenzen aufgezeigt und überflüssige Polemiken verhindert. Durch diesen Lapsus wurde der Eindruck einer einseitigen Auslegung geweckt. Reißerische und nicht immer korrekte Titel verstärken dieses ungute Gefühl, zumal der Text der Artikel selbst etwas nuancierter waren. Fraglich ist auch die gängige Sitzzuteilung pro Wahlbezirk, bei der wegen der Fehlermargen der Umfrage bei den Restsitzen (es können mehrere pro Bezirk sein) ein erheblicher Unsicherheitsfaktor besteht. So hätte bei nur geringen Verschiebungen – alle innerhalb der Fehlermarge – die CSV bis zu 3, die DP bis zu 2 Sitzen verlieren können und die ADR 2 hinzugewinnen können. Bei den Sitzangaben empfiehlt es sich daher eher mit Bandbreiten zu arbeiten als feste Sitzzahlen anzugeben. Zwar verliert dann das Umfrageergebnis etwas an Prägnanz, es entspricht aber eher dem realen Umfragewert.
  1. Wieso wurde besonders beim „Luxemburger Wort“ bei der Interpretation der Koalitionsfrage auf recht aufdringliche Art und Weise Schwarz-Grün als oberste Wunschpartnerschaft hochstilisiert? Nachdem bereits bei der Frühjahrsumfrage von 2016 die CSV-Grüne Option bei damals 42 % Zustimmung zur Koalition der Mehrheit ausgerufen wurde, ist die neuerliche Interpretation der Umfrageergebnissen mehr als tendenziös. Kann man ehrlicherweise eine Zustimmung von bescheidenen 17 % der Befragten für Schwarz-Grün als „Traumpaar der Wähler“ bezeichnen? Über zwei Drittel der Befragten haben sich schließlich für andere Regierungsvarianten ausgesprochen. Etwas mehr Zurückhaltung beim Interpretieren ist da sicher angebracht um die Glaubwürdigkeit des Ganzen nicht in Gefahr zu bringen.
  1. Wieso werden nur geringfügig Veränderungen und Differenzen bei verschiedenen Umfragewerten offensichtlich überbewertet? Dies gilt sowohl bei der Vertrauensfrage wie auch bei der Popularitätsbewertung der Politiker. Abweichungen von 1-2 % werden sogleich als bemerkenswerte Entwicklungen kommentiert und politisch interpretiert. Dabei ist gewusst, dass bei einer Zahl von rund 1000 Befragten die Fehlertoleranzbreite relativ hoch ist, besonders bei mittleren Werten (30-70 %). So war in einer veröffentlichten Fußnotiz zu lesen, dass die Fehlermarge bei Werten von 50% bis zu 5% ausmachen kann. Parteien oder Politiker, die innerhalb dieser Marge liegen, können demnach als gleichgewichtig betrachtet werden. Minimale Vorsprünge oder Rückstände sind statistisch eigentlich irrelevant. Für Aufregung unter Politikern, weniger unter den Wählern, sorgte schließlich die Auswahl der abgefragten Politiker beim Januar-Politmonitor. Dass dabei gleich drei sehr populäre Koalitionspolitiker vorheriger Umfragen durch CSV-Politiker ersetzt wurden ist nicht vollständig nachzuvollziehen. Ein solcher, nicht erklärter Selektionsprozess, führt gerne zum Vorwurf der versuchten Manipulation. Hier würden transparente und objektive Kriterien helfen, das verbreitete Unverständnis wieder abzubauen.

 

Umfragen können demokratische Entwicklungsprozesse nicht ersetzen

 

Umfragen, Petitionen, Tagesfragen der Medien gehören zum heutigen demokratischen Alltag, sie beleben und beeinflussen die politische Entscheidungsfindung.

Doch wie es der deutsche Politikwissenschaftler Thomas Meyer formuliert „Die reine Umfragedemokratie, die vorgefasste Meinungen der Bürgerinnen und Bürger in einer Momentanphase festhalten und zur Basis von Entscheidungen machen, entspricht der Demokratie nicht. Erst im Austausch der Argumente und Meinungen, in der der Rücksichtnahme auf die Interessenpositionen und Ansichten der anderen, können sich die Staatsbürger selbst eine begründete Meinung bilden“.

Viele Ideen, die heutzutage mehrheitlich getragen werden, waren oft zur Zeit ihrer politischen Umsetzung minoritär. Dies gilt insbesondere in gesellschaftspolitischen Fragen.

Hätte man bloß auf die Umfragen gehört, wären wahrscheinlich viele Reformen, die heute auf breite Zustimmung stoßen, wohl nie durchgeführt worden.

Umfragen geben Stimmungen wieder. Sie können und dürfen politische Entscheidungen nicht ersetzen. Umfragen sind keine Referenden, Volksabstimmungen im Kleinformat. Weder in einer repräsentativen, noch in einer direkten Demokratie dürfen sie entscheidend sein.

Umfrageergebnisse und ihre mediale Interpretation haben ihrerseits einen Einfluss auf die öffentliche Meinung.

Gerade auch wegen dieses Impaktes drängt sich ein umsichtiger, verantwortungsvoller Umgang mit Umfragewerten förmlich auf.

Alex Bodry
Abgeordneter
Vorsitzender der LSAP-Fraktion

Facebook
Twitter